Seltsamkeiten I
1. Elefanten, denen Namen verliehen wurden, sind die einsamsten Lebewesen, die es gibt.
2. Blumen sind immer nur Ausflüchte, Überbrückungen, Platzhalter, Wegweiser.
3. Auf dem Foto, auf dem ich das erste Mal meine Schwester sehen könnte, weiß ich nicht, wer ich bin und wer meine Schwester: Es ist eines der ersten Bilder in einem Fotobuch, das mein Vater über meine Kindheit gemacht und mir letztes Jahr geschickt hat, bevor der Kontakt abbrach. In dem Fotobuch sind fast nur Bilder, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Das Bild von meiner Schwester und mir ist ein Geburtstagsfoto vom Krankenhaus. Meine Schwester wurde nur 16 Tage alt. Auf dem Foto, auf dem ich das erste Mal meine Schwester sehen könnte, weiß ich nicht, wer ich bin und wer meine Schwester.
4. Ich weiß kaum etwas über meine Mutter: ich weiß nicht, wie sie riecht, ich kenne ihre Mimik nicht, ich weiß ihre Augenfarbe nicht, weiß nicht, was sie gerne isst. Ich weiß mehr darüber, wie der Tod riecht, wie langsam Särge zerfallen, wer in den Katakomben noch erhalten ist.
5. Wann werden die letzten Menschen aussterben, die kleine Passfotos in den Geldbörsen mittragen und sie bei winzigen Gesprächen im Supermarkt, auf der Post oder im Zug herausziehen und erklären, wie alt die Kinder auf den Fotos bereits sind, wie sie heißen, dass sie eigentlich nicht mehr sieben und zahnlückig sind, sondern dreiundzwanzig und tättowiert, dass sie nicht mehr drei sind und so wütend, sondern achtundvierzig und viel zu traurig für das Alter.
6. Das gefühlte Tabu, nach der Geburt des Kindes jemals wieder einen anderen Handyhintergrund zu verwenden als Fotos des Kindes. Das Kind, wie es als Handydisplayhintergrundbild wächst und älter wird.
7. Wenn man erst einmal beginnt, sich mit Elefanten zu beschäftigen, sind sie plötzlich überall.